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Rund um den Mund. (01/2025)

Wozu braucht es Tierversuche, Frau Barkat?

Text: Tania Rinaldi Barkat, Neurowissenschaftlerin

Experimente an Tieren ermöglichen grundlegende Erkenntnisse und medizinischen Fortschritt. Sie werfen aber ethische und politische Fragen auf. Perspektiven aus der Neurowissenschaft auf Nutzen und Zukunft von Tierversuchen.

Tania Rinaldi Barkat
Tania Rinaldi Barkat (Illustration: Studio Nippoldt)

Wissenschaftliche Forschung erweitert stetig das menschliche Wissen und führt zu Durchbrüchen in Medizin und Technik. Ein oft missverstandener Bestandteil dieses Fortschritts sind Tierversuche. Trotz Alternativen wie organähnlichen Zellmodellen oder Computersimulationen bleiben sie in vielen Bereichen unverzichtbar. Biologische Systeme sind hochkomplex und alternative Modelle können die Wechselwirkungen in einem lebenden Organismus nicht vollständig nachbilden.

Die Erforschung des Gehirns beispielsweise erfordert ein intaktes neuronales Netzwerk mit sensorischen Eingängen und Rückkopplungsmechanismen. Derzeit existiert keine Alternative, die diese Komplexität vollständig erfasst.

Wichtige Grundlagenforschung.

Besonders in der Kritik stehen Tierversuche für die Grundlagenforschung, da diese keine unmittelbare Anwendung findet. Sie bildet aber die Basis für viele bahnbrechende Entdeckungen. So führten frühe Untersuchungen des Nervensystems bei Tieren zu Erkenntnissen über synaptische Plastizität, die heute die Grundlage für die Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen wie etwa Multiple Sklerose bilden.

Fast alle Nobelpreise für Physiologie oder Medizin seit 1901 gingen an Forschende, die ihre Entdeckungen aus Tierversuchen ableiteten. Tierexperimentelle Forschung spielt bis heute eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Behandlungen für Krebs, AIDS und Asthma, bei Impfstoffen und Organtransplantationen.

Wie übertragbar sind die Ergebnisse?

Trotzdem hält sich der Vorwurf hartnäckig, die meisten Tierversuche hätten keinen Nutzen für die Humanmedizin, weil die Ergebnisse nicht übertragbar seien. Eine Maus ist kein Mensch. Dennoch: Mensch und Maus teilen 95 Prozent ihres Erbguts, sie haben ähnliche Organfunktionen und leiden an ähnlichen Krankheiten. Aufgrund dieser Parallelen sind Erkenntnisse aus Versuchen mit Mäusen für die Humanmedizin wertvoll und in einer Mehrheit der Fälle übertragbar.

Nicht zuletzt wird der Umfang von Tierversuchen in der öffentlichen Debatte oft falsch dargestellt. In Europa werden weit mehr Tiere zur Fleischgewinnung genutzt als in der Forschung. Hauskatzen töten wöchentlich mehr Tiere als die biomedizinische Forschung jährlich. Hunde, Katzen und Primaten machen nur 0,2 Prozent der Versuchstiere aus; die meisten Studien betreffen kleinere Tiere wie Mäuse oder Zebrafische.

Tania Rinaldi Barkat ist Professorin für Neurowissenschaften und leitet das Brain and Sound Lab am Departement Biomedizin der Universität Basel. Sie erforscht, wie das Gehirn von Mäusen Töne verarbeitet. Die Erkenntnisse daraus bilden beispielsweise die Grundlage für eine neue Generation von Hörprothesen.


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