Ðǿմ«Ã½

x
Loading
+ -
Rund um den Mund. (01/2025)

Wozu braucht es Tierversuche, Herr Müller?

Text: Nico Müller, Philosoph

Experimente an Tieren ermöglichen grundlegende Erkenntnisse und medizinischen Fortschritt. Sie werfen aber ethische und politische Fragen auf. Perspektiven aus der Philosophie auf Nutzen und Zukunft von Tierversuchen.

Nico Müller
Nico Müller (Illustration: Studio Nippoldt)

Denken wir für einen Moment an eine andere Technologie, den Verbrennungsmotor. Er steckt seit über hundert Jahren in unzähligen Transportmitteln und den Maschinen diverser Industrien. Man kann nicht bestreiten, dass er einen gewaltigen Nutzen hat. Und doch müssen wir angesichts der Klimakrise lernen, diesen Nutzen anders zu erzielen. Die Transition ist komplex, mühsam und umstritten. Sie erfordert Planung und Koordination.

Den Nutzen anders erzielen.

In den letzten 15 Jahren hat sich eine politische Debatte entwickelt, die Tierversuche – zumindest jene, die für Tiere schädlich sind – ähnlich auffasst wie den Verbrenner. Soll heissen: Sie bringen einen Nutzen, aber diesen Nutzen sollten wir in Zukunft anders erzielen. In der EU-Richtlinie über Tierversuche steht seit 2010 das Ziel festgeschrieben, sämtliche Tierversuche durch Alternativen zu ersetzen. Seither forderten zwei Europäische Bürgerinitiativen, dass die EU eine entsprechende Strategie ausarbeiten soll.

Die niederländische Regierung liess ab 2015 mehrere Transitionsszenarien entwerfen. Auch das Europaparlament forderte 2021 einen Ausstiegsplan. In der Schweiz zielt eine parlamentarische Initiative der grünen Ständerätin Maya Graf in dieselbe Richtung.

Wer zum ersten Mal von Reduktions- oder Ausstiegsplanung hört, denkt oft an ein «Verbot auf Raten». Als würde der Staat eine Obergrenze für Tierversuchsbewilligungen setzen und diese dann schrittweise absenken. Das ist nicht die Idee. Auch den Verbrenner kann man nicht durch Verbote und Kontingente allein überwinden. Es braucht Alternativen, beispielsweise Wasserstoffzellen oder Elektromotoren, aber auch ein Umfeld, in dem sie tatsächlich nutzbar sind, wie ein Netz an Wasserstofftankstellen und Ladestationen.

Wissenschaftliche Aspekte und praktische Umstände.

Ähnlich ist es auch mit Tiermodellen in der Forschung. Schaut man sich an, wie Forschende ihre Modellwahl begründen, wird deutlich: Einerseits gibt es wissenschaftliche Kriterien – etwa, welche Systeme ein Modell repräsentieren kann, wie es auf experimentelle Intervention reagiert, welche Phänomene es messbar macht. Andererseits spielen auch praktische Umstände eine Rolle: Mäuse sind oft das Modell der Wahl, nicht nur, aber auch, weil Universitäten schon die nötige Infrastruktur haben und Forschende wissen, wie man sie nutzt. Organoide gibt es hingegen noch nicht so lange, sie herzustellen benötigt ebenfalls Zeit und Ressourcen und vielen Forschenden fehlt schlicht die Erfahrung damit.

Nico Müller ist Postdoc im Fachbereich Philosophie und erforscht als Projektleiter innerhalb des Nationalen Forschungsprogramms «Advancing 3R» ethische und wissenschaftsphilosophische Aspekte der Reduktions- und Ausstiegsplanung aus Tierversuchen.


Weitere Artikel dieser Ausgabe von UNI NOVA (Mai 2025). 

nach oben